Asteroid City: Wes Anderson und die Aliens

Scarlett Johansson blickt aus Motelfenster in Asteroid City Alien in Asteroid City: Scarlett Johansson gehört zum Staraufgebot in Wes Andersons neustem Film

Wes Anderson hat sich für seinen neusten Film Asteroid City das Science-Fiction-Genre der fünfziger Jahre vorgenommen. Aber keine Sorge, auch mit Ufos, Aliens und Weltraumforschern bleibt sich der Kultregisseur treu. Die Titel rollen noch, da tuckern wir schon mit einer pfeifenden Dampfeisenbahn durch rote Pappmaché-Berge hinein ins künstliche Monument Valley und schwup-di-wup sind wir mitten drin im unverwechselbaren Anderson-Kosmos mit seinen liebevoll gebastelten Kulissen, den Vintage-Farben, symmetrischen Bildkompositionen und langsamen Kamerafahrten, dem vertrautem Personal aus schmachtenden Melancholikern, neunmalklugen Kids, Herzensbrecher-Frauen und überforderten Uniformträgern. 

Flirten mit Scarlett Johansson

Diesmal stehen die Steenbecks im Zentrum des Geschehens. Vater Augie, ein schweigsamer Kriegsfotograf, ist mit seinen drei quirligem Mädels und dem „Brainiac“-Sohn Woodrow in einem Wüstennest mit Tankstelle, Diner und Asteroidenkrater hängengeblieben. Eigentlich wollten sie den Großvater (Tom Hanks) besuchen. Doch jetzt ist das Auto kaputt und so quartieren sie sich im einzigen Motel des Ortes ein. Jason Schwartzman, seit Andersons Spielfilm Rushmore sein Spezialist für tragikomische Stoiker, spielt auch diesmal den sad Dad, der seinen Kindern den Tod ihrer Mutter verschweigt und ihre Asche in der Tupperdose mitnimmt. Während Augie einen zaghaften Flirt mit der Schauspielerin im Nachbar-Bungalow (Scarlett Johansson) beginnt, die dort im Badezimmer Filmszenen für eine neue Rolle probt, freundet sich Woodrow mit anderen hochbegabten Teenagern an, die zum Jugend-Stargazer-Wettbewerb angereist sind. Tilda Swinton gibt im weißen Kittel die optimistische Weltraumforscherin Dr. Hickenlooper, Jeffrey Wright ist der bullige General Grif Gibson, der zuerst den Forschergeist der jugendlichen Sternenstürmer lobt, nur um sie später einzusperren, damit die Welt nichts von ihrer Begegnung mit dem Aliens erfährt. Zum mäandernden Lauf der Geschichte gehört auch eine gestrandete Country-Band mit Banjos und Waschbrettspielern (einer davon ist Jarvis Cocker), und der geschäftstüchtige Motel-Manager (Steve Carell), der kuriose Automaten erfindet, die perfekt gemixte Martinis ausspucken, oder auch Anteilsscheine zum Kauf von Land rund um den Asteroidenkrater.

Die Dialoge sind wie immer bei Wes Anderson, der auch das Drehbuch schrieb, schwarzhumorig-vieldeutig und werden mit ernsten Gesichtern in perfekt sitzenden Retro-Outfits vorgetragen. Für Film-Geeks gibt es zudem jede Menge Referenzen zur jüngeren Kinogeschichte. Manche sind so offensichtlich wie der tanzende Roadrunner-Vogel, der die Straßen von Asteroid City kreuzt und an die gleichnamige Cartoon-Figur aus den Looney Tunes-Animationsfilmen erinnert. Oder der augenzwinkernde Schriftzug „French Press International“ auf Augies Station Wagon, der auf The French Dispatch verweist, Andersons letzten Spielfilm über Magazinreporter in Paris. Natürlich werden auch amerikanische Sci-Fi-Klassiker wie The Day the Earth Stood Still, War of the Worlds oder Close Encounter with the Third Kind zitiert. Eine versteckte Hommage findet sich im eklektischen Soundtrack, zu dem auch Slim Whitmans schräger Jodelklassiker „Indian Love Call“ zählt – genau der Song, der in Tim Burtons Sci-Fi-Komödie Mars Attacks! die Köpfe der Killer-Aliens platzen lässt.

Ein schillerndes Gesamtkunstwerk

Den erzählerischen Fluss bricht Anderson diesmal immer wieder, indem er in kurzen Schwarzweiß-Sequenzen auf ein TV-Bühnen-Set zurückspringt. Es gibt sogar eine Bühnentür, die direkt hinaus führt aus dem Wüstenambiente – wie in der Truman Show. Aber auch dieser angedeutete Blick hinter die Kulissen der Traumwelt bleibt künstlich und rätselhaft. Einmal sitzen die Schauspieler auf der Bühne mit einem Acting Coach (Willem Dafoe) zusammen, der Methoden ausprobieren will, wie sie im Schlaf authentisch schauspielern können. Da sagt Jason Schwartzman den schönen Nonsense-Satz: „You can‘t wake up if you don‘t fall asleep!“ 

Trotz eingebauter Meta-Ebene führt kein Weg wirklich hinaus aus Andersons streng choreografierten Kulissenwelten. Es sind fein justierte Mikro-Universen, in denen man sich wunderbar verlieren kann, und auch beim wiederholten Schauen neue Entdeckungen macht. Als schillernde Gesamtkunstwerke kreisen sie immer wieder um dieselben Motive: Trauer und Verlassenheit, Melancholie und Männlichkeit, abwesende Eltern, konkurrierende Geschwister, seltsame Freundschaften. Wer das liebt, wird Wes Andersons Stammpersonal und einigen prominenten Neuzugängen auch diesmal wieder gern dabei zuzuschauen, wie sie in Asteroid City mit Alien-Besuch surreale Trauerbewältigung und Familientherapie betreiben. Und höchstens einen vermissen, der eigentlich zum festen Anderson-Inventar gehört: Bill Murray musste Covid-bedingt kurzfristig von dem Projekt abspringen. Nicht weinen, Bill! Wes dreht schon wieder was Neues für Netflix.