Die Österreicherin zählt zu den bedeutendsten Malerinnen der Gegenwart. Ihr filmisches Werk ist dagegen immer noch ein Geheimtipp. Auf dem Berlinale wurden jetzt ihre tollen Animationsfilme gezeigt
Laszive Stühle, die zur Stummfilmmusik die Beine schwingen, zum Bersten anschwellen und ihr Innerstes ausstoßen. Paare, die ineinanderfließen, gegeneinander kämpfen, sich zerschneiden. Eine nackte Frau mit Busengebirgen, Schenkeltälern und Pobacken im Zerrspiegel. Maria Lassnig lässt keinen Zweifel daran, worum es in ihren Kurzfilmen geht. Körpergefühle, Schmerz, Wut, Mann-Frau-Beziehungen, die Anziehungs- und Abstoßungskräfte zwischen den Geschlechtern waren das Lebensthema der österreichischen Künstlerin, die 1919 in Kärnten als uneheliches Bauernkind zur Welt kam und 2014 in Wien als gefeierte Malerin starb. Ein Jahr vor ihrem Tod erhielt sie auf der Venedig-Biennale den Goldenen Löwen für ihr Lebenswerk.
Ihr Malerei-Studium in den 1940er Jahren an der Wiener Akademie war noch überschattet von der NS-Zeit, wo ihr farbig-expressionistischer Stil als „entartet“ beschimpft wurde. Um dem konservativen Klima der Nachkriegszeit zu entkommen, ging Lassnig 1960 nach Paris, wo sie zu ihrem eigenen körperbetonten Malstil fand, ansonsten aber ziemlich enttäuscht war von den surrealistischen Salonlöwen, die Frauen lieber als Sexobjekte stilisierten als sie als ebenbürtige Künstlerinnen anzuerkennen. Auf der Suche nach einer weltoffeneren Szene zog sie 1968 nach New York, wo viele ihrer ikonischen Selbstporträts entstanden, oft nackt, verzerrt und schonungslos in grünlich schimmernden Fleischtönen. Damals startete sie auch ihre ersten Filmexperimente. Sie kaufte eine 16-mm-Kamera und drehte in ihrem Atelier kurze Zeichentrickclips. Die Animationen mit Schablonen, Spiegeln, verfremdeten Fotos vertonte sie selbst, oft mit klimpernder Barockmusik oder bissigen, selbst gesungenen Reimen. Das wirkt aus heutiger Sicht alles ruckelig-improvisiert, rührend handgemacht, manchmal auch kauzig-komisch. Damals war es unerhört – und selbst für den New Yorker Kunstgeschmack too much.
In den besten Momenten blitzt in diesen kleinen Filmen die ganze anarchisch-explosive Energie auf, die Maria Lassnig schließlich doch noch zur einer der bedeutendsten Künstlerinnen der Gegenwart aufsteigen ließ. 1980 wurde sie an die Wiener Hochschule berufen – als erste Frau im deutschsprachigen Raum, die eine Professur für Malerei erhielt. Ihre erste Reaktion: Sie nehme die Stelle „nur unter der Bedingung, dass Sie mir das zahlen, was Sie Joseph Beuys zahlen“. Zu Lassnigs großem Erstaunen willigten die österreichischen Kulturbeamten ein. Und ihre Karriere nahm endlich Fahrt auf. Sie vertrat Österreich auf der Venedig-Biennale, wurde mehrmals zur Documenta eingeladen, bekam große Museumsausstellungen und konnte endlich von ihrer Malerei leben. Als Professorin gründete sie auch das Lehrstudio für experimentellen Animationsfilm und drehte selbst weiter Trickfilme. Auf der Berlinale liefen jetzt einige davon, darunter auch die frühen Kurzfilme aus New York: Chairs, Couples, Shapes, Selfportrait und Iris.
Zudem gab’s im Forum-Programm der Berlinale die Weltpremiere von Mit einem Tiger schlafen, einem Bio-Pic mit Spielszenen und dokumentarischen Sequenzen von Anja Salomonowitz. Maria Lassnig wird darin von Birgit Minichmayr gespielt. Man sieht sie in Unterwäsche im Atelier brühten, leiden, Grimassen schneiden, während sie sich an ihre raue Kindheit in Kärnten erinnert. Später dann grantelt sie im Leopardenfellmantel und exzentrischer Sonnenbrille mit Galeristen, Kuratoren oder Sammlern. Das entspricht vermutlich alles der Wahrheit. Lassnig galt als hochsensibel, eigenbrötlerisch, schwierig. Auf Youtube zeugen viele Videos davon, darunter auch der Porträtfilm Maria Lassnig – Es ist die Kunst, jaja…. von Sepp Dreissinger, der die Künstlerin zehn Jahre lang begleitete und sie beim Malen, Nachdenken im Atelier oder Grashalme-Schneiden auf der Wiese zeigt.
Mit einem Tiger schlafen heißt auch eines ihrer bekanntesten Gemälde. Darauf sieht man die Künstlerin am Boden, überwältigt und ekstatisch, beim Sex mit dem Raubtier. Überhaupt erschließt sich Maria Lassnigs Wesen und Gefühlswelt wohl am besten im Dialog mit ihren Werken. Dazu lohnt sich auch ein Abstecher in die Neue Nationalgalerie, wo gerade zwei tolle Gemälde von ihr in der Sammlungspräsentation hängen: Die Patriotische Familie und Self-Portrait as Native American Girl.
Über ihre Filme ist kürzlich auch ein sehr informativer Katalog erschienen: Maria Lassnig. Das Filmische Werk, herausgegeben von Eszter Kondor, Michael Loebenstein. Peter Pakesch, Hans Werner Poschauko (FilmmuseumSynemaPublikationen, 2021) ist das erste umfassende Verzeichnis ihrer filmischen Arbeit mit Beiträgen früherer Weggefährt:innen wie Carolee Schneemann, Ulrike Ottinger oder Paul McCarthy, Faksimiles aus ihren Notizbüchern und einer DVD mit posthum veröffentlichten „films in progress“.