Cate Blanchett: Tár und Glamour auf der Berlinale

Die Berlinale ist vorbei, die Bären verliehen. Viel ist wieder darüber geredet worden, dass das Berliner Filmfestival zu unentschieden, zu politisch und wenig glamourös sei. Letztes stimmt gewiss, auch wenn mit Kristen Stewart ein echter Hollywood-Star die Jury leitete und Chanel-Couture auf den roten Teppich brachte. Bei der Preisvergabe war Stewart jedoch weniger stilsicher (oder konnte sich nicht durchsetzen). Ausgezeichnet wurde ein eher durchschnittlicher Dokumentarfilm über eine schwimmende Psycho-Klinik in Paris (Sur l’Adamant) und Christian Petzolds deutsch-schweres Beziehungsdrama Roter Himmel. Als beste Schauspielerin wurde die achtjährige Sofia Otero ausgezeichnet: sie spielt in 20.000 Especies de Abejas einen Jungen, der lieber ein Mädchen sein möchte. Das macht sie sehr gut. Ob es für ein achtjähriges Kind gut und richtig ist, so exponiert ins Rampenlicht katapultiert zu werden, ist trotzdem fraglich – umso mehr, als die Regisseurin des spanisch-baskischen Spielfilms, Estibaliz Urresola Solaguren, leer ausging, obwohl sie sicher viel zur preisgekrönten Performance ihres kleinen Stars beigetragen hat.

Die besten Filme liefen außer Konkurrenz

Die besten Filme liefen ohnehin außer Konkurrenz. Zum Beispiel die Doku Kiss the Future über Underground-Künstler, Kriegstreiber und die Band U2 im belagerten Sarajevo in den 90er Jahren. Oder eben Tár, der fulminante Spielfilm von Todd Field über eine geniale, egomanische Dirigentin, brilliant gespielt von Cate Blanchett. Für diese Rolle wird sie in Hollywood vermutlich einen Oscar bekommen und hätte auch auf der Berlinale einen Bären verdient. Dass sie auch ohne Preisaussichten in der rumpeligen Event-Tristess am Potdamer Platz erschien, um den Film zu promoten, schenkte dem Festival doch noch ein wenig Glanz. Und allen Cineasten einen fein-gewebten Thriller mit ungewöhnlicher Me-Too-Thematik. Tár läuft ab 2. März im Kino.

Der Film spielt hinter den Kulissen des hochneurotischen E-Musikbetriebs. Cate Blanchett spielt Lydia Tár, eine fiktive amerikanische Dirigentin und Komponistin, die gerade den begehrten Chefposten bei den Berliner Philharmonikern ergattert hat – eine Sensation in der männerdominierten Klassikwelt. Es geht um Macht und Missbrauch, Starkult, Manipulation und folgenschwere Racheakte. Lydia, die mit Kind in einer lesbischen Beziehung lebt – ihre Partnerin Sharon (Nina Hoss) ist Kapellmeisterin des Berliner Orchesters – ist eine extrem begabte, aber auch eiskalt agierende Künstlerin, die sich, nicht nur beim Dirigieren, sondern auch was den egomanischen Führungsstil angeht, an den großen Macho-Maestros misst: Bernstein, Levine und Barenboim lassen grüßen. 

Die Mischung aus Bossiness und Hypersensibilität spielt Blanchett so überzeugend, dass man ihr auch dann noch fasziniert folgt, wenn das Verhalten ihrer Figur zunehmend unsympathisch wird. Im Dirigentenalltag deuten sich Konflikte an: Tár brüskiert langjährige Orchestermitglieder, weil sie einen Solopart eigenmächtig an eine neue Cellistin vergibt, zu der sie sich sexuell hingezogen fühlt. Zudem kündigt sich Ärger um eine ehemalige Studentin und ihre persönliche Assistentin an. Es gibt Drohungen, kompromitierende Emails, ein bösartiges TikTok-Video und schließlich einen Selbstmord, für den Tár verantwortlich gemacht wird. Langsam, aber unausweichlich steuert die arrogante Dirigentin auf ihren eigenen Untergang zu. 

Cate Blanchett spielt überzeugend

Eine klassische Hochmut-kommt-vor-dem-Fall-Geschichte, die Regisseur Field komplett aus der Binnenperspektive seiner fallenden Protagonistin erzählt. Das einigermaßen überraschende Ende soll hier nicht verraten werden. Nur soviel: Es gibt kein Happy End. Auf dem Filmfestival in Venedig gewann Cate Blanchett für ihre Rolle einen Goldenen Löwen als beste Darstellerin. In den USA, wo Tár im Herbst 2022 in die Kinos kam, wurde der Film von der Kritik enthusiastisch gefeiert und ist für mehrere Oscars im Rennen. Die New York Times titelte: „Finally, A Great Movie About Cancel Culture“. Dort wird Tár als Gegenstück zu She Said gesehen, Maria Schraders viel gelobtem Spielfilm über den Harvey-Weinstein-Fall und die Geburt der Me-Too-Bewegung. Dass auch Todd Field sich Allmachtsgehabe und Machtmissbrauch im Kulturbetrieb zum Thema macht, dabei den Spieß aber umdreht und eine mächtige Frau zur übergriffigen, uneinsichtigen Täterin macht, ist gewagt. Doch dank der herausragenden Hauptdarstellerin und der ambivalenten Message, die sich nicht in einem schlichten Hashtag zusammenfassen lässt, öffnet Tár einen größeren Denkraum, in dem überkommene Traditionsmuster und Machtstrukturen im Kulturbetrieb geschlechterübergreifend hinterfragt werden. Und in dem Frauen nicht automatisch die besseren Menschen sind.

Meine ausführliche Kritik auf critic.de findet ihr hier