Erstmal vorweg: Ich mag Noah Baumbachs Filme, Frances Ha, Marriage Story, The Squid and the Whale, alles sehr eigenwillige, nerdige autobiografisch angehauchte Familien- und Liebesgeschichten mit tollen Schauspielern wie Adam Driver und Greta Gerwig. Aber warum hat sich dieser tolle Drehbuchautor und Regisseur diesmal Don DeLillos Romanmonster White Noise ausgesucht? Es ist die Geschichte eines College-Professors (Adam Driver) und seiner Familie, irgendwo in einer idyllischen US-Stadt Anfang der 80er Jahre, in der sich ein Chemieunfall ereignet. Die schleichende Midlife- und Ehekrise mischt sich plötzlich mit echter Katastrophenangst, schwarze Giftwolken beflügeln vage Todesfantasien, die Medien füttern die Menschen mit beruhigenden Falschmeldungen, die Evakuierengsmaßnahmen sind schlecht organisiert, jeder versucht nur sich selbst zu retten, ohne Rücksicht auf andere. Kurz gesagt, es ist eine Parabel über die Folgen der Dauerberieselung durch die Medien und die Lüge des amerikanischen Traums.
Ist doch alles wieder irre aktuell, mag sich Baumbach gedacht haben. Und die Produzenten von Netflix, die große Namen und nostalgische Stoffe lieben, haben das begeistert durchgewunken. Doch leider ist die White Noise-Verfilmung total dated – trotz toller Schauspieler, verspielter Kameraführung und witziger Einzelszenen. Die liebevolle Ausstattung mit Station Wagons, Vorstadtidylle und grell-buntem Supermarkt vermittelt allenfalls nostalgische Gefühle und den Eindruck, wie rührend selbstbehzogen die Problemlagen damals noch waren.
Adam Driver ist Professor für Hitler-Studien
Dabei ist der Einstieg erstmal furios: Don Cheadle als College-Professor für Idol-Kunde und Elvis-Experte hält vor seinen Student_innen einen exztentrischen Vortrag über die Schönheit von Car Crashs im Kino: sie seien lebensbejahend, uramerikanisch, karthatisch, voller positiver Energie. Das ganze untermalt er mit Zusammenschnitten dramatischen Unfall- und Crashszenen aus Filmen. Dann Schnitt zum Familienleben von Adam Driver, Professor für Hitlerstudien am selben College. Turbulente Küchenszenen, nerdige Kids und eine hypersensible Second Wife (Greta Gerwig). Ins Familienidyll kracht ein Chemieunfall, erst runtergespielt von den Eltern, dann muss evakuiert werden mit bizarren Fluchtszenen, die man aus Katastrophenfilmen kennt, Schlangen auf den Highways, überforderte Ordungskräfte, Chaos.
Dann ist alles vorbei, das Familenleben geht weiter, aber Mutti Baba ist depressiv, zieht den Jogginganzug nicht mehr aus und weint am Fenster. PTSD? Oder sind es die mysteriösen Pillen, die sie heimlich immer schluckt. Hinter den Pillen steckt ein Ehebruch, der gehörnte Ehemann will sich rächen. Was zu einer Art klamaukigem Krimi-Part führt – mit Lars Eidinger als spukigen Pillendealer und Todesengel. Barbara Sukova hat einen Auftritt als götteslästernde Nonne in der Notaufnahme – wo deutsch gesprochen wird. Was als surrealer Trip angelegt ist, wirkt extrem gekünstelt, nicht witzig und auch nicht wirklich geistreich. Besonders Eidinger wirkt in seinem übertriebenen Spieleifer mal wieder wie das Über-Klischee des bösen Deutschen. Wenn er so weitermacht, kann er im US-Film das Erbe von Udo Kier antreten.
Lars Eidinger als böser Deutscher
Wer trotzdem bis zum Schluss dieses viel zu langen Films bleibt, wird mit einer durchgeknallten Supermarkt-Szene im Revuestil belohnt, ein extralanges Outro mit Tanz-Choreografien in den Regalreihen, in denen alle Darsteller noch einmal auftreten, sich elegant in Gemüseregalen aalen, mit Keksdosen rappen, während darüber der endlose Abspann rollt. So richtig Sinn macht das zwar nicht, es sei denn man braucht nach zweieinhalb Stunden White Noise für den Heimweg noch eine konsumkritische Message: Shopping als Gottesdienst und Entertainment für die Massen? Das ist ziemlich lahm, die Szene aber wirklich lustig. Und beim Streamen kann man ja jederzeit vorspulen.
White Noise ab 8.12. im Kino, ab 30.12. auf Netflix