Monica Bonvicini: I DO YOU in der Neuen Nationalgalerie

Monica Bonvicini at the opening of her exhibition at Neue Nationalgalerie

Monica Bonvicini schreibt gerade Museumsgeschichte. Die Berliner Künstlerin mit venezianischen Wurzeln hat eine Einzelschau in der Neuen Nationalgalerie, nicht irgendwo im Bauch des ikonischen Tempels der Moderne wie letztes Jahr Rosa Barba. Nein, sie bespielt die große gläserne Halle oben, den heiligen Gral. Und statt ihre Werke aus Dank für diese große Ehre ganz ehrfürchtig im frisch rennovierten, denkmalgeschützten Space zu platzieren, sprengt sie alle Regeln. Schon von Weiten ist zu sehen, dass hier etwas anders läuft. Vor dem Eingang lehnt ein riesiger Spiegel lässig am Gebäude, er überragt die Dachkante um einige Meter. Darauf steht in großen Lettern: I do you. Drinnen geht das Verwirrspiel weiter. Gleißende Neonröhrenskulpturen baumeln von der Decke, spiegeln sich in den Scheiben, Kettengeklirr und dumpfes Schlagen gegen eine Wand ist zu hören – typische Ingredenzien der Kunst von Monica Bonvicini. Doch irgendetwas stimmt hier nicht. Mitten im Raum steht jemand, der sieht genauso aus wie ich und bewegt sich auch so. 

Opening von Monica Bonvicinis Schau in der Neuen Nationalgalerie in Berlin, 24. November 2022

Bonvicini schreibt mit Ketten und Spiegeln Museumsgeschichte

Die Künstlerin hat mitten durch die Halle eine riesige Spiegelwand gezogen und damit den Raum gebrochen. Von der Seite entpuppt sich der Spiegel als begehbare Plattform. Über feuerverzinkte, in Ketten gehängte Stufen betritt man ein weiträumiges Aussichtspodest, von dem man nach unten in die Halle und nach draußen in die Stadt schauen kann. Man kann sich aber auch in eine der martialischen Hängematten aus Metallketten und Lederstreifen wuchten und unter Mies von der Rohes Stahlträgerdecke schaukeln. Oder auf einem der lederbezogenen Betonsessel Platz nehmen und den Teppichboden bewundern. Der besteht aus farbigem Velourflor bedruckt mit fotorealistischen Abbildungen abgestreifter Kleidungsstücke. Hat hier gerade noch eine Swinger-Party stattgefunden? Oder mussten sich Häftlinge bis auf die nackte Haut ausziehen, bevor sie gefoltert wurden? Die Assoziationen sind vielfältig, ambivalent, von kinky bis Abu Ghraib. Dazu passen auch die Handschellen, die an langen Ketten vor den Fensterfronten baumeln. Im Begleittext ist zu lesen, dass sich Besucher:innen selbst daran fesseln – und innehalten – können. Nach einer halben Stunde Bondage schließt das Aufsichtspersonal dann wieder los.

Hat hier gerade eine Swinger-Party stattgefunden?

Ketten, Spiegel, Lederriemen und anderes Bondage-Equipment gehören schon lange zum visuellem Repertroire der Künstlerin. Bonvicini versteht sich als feministische Künstlerin und nutzt diese aufgeladenen Dinge als unmissverständliche Zeichen für den Kampf der Geschlechter, in dem sie  als Frau und Künstlerin steckt. Das Spielerische und das Brutale, das Harte und das Sanfte, Begierde und Angst, liegen bei ihr ganz dicht beieinander. Hier in der Nationalgalerie paart sie das Strenge, Blendende, Bedrohliche mit einer guten Portion Humor. So kann man auch die Platzierung ihrer frühen Videoarbeit Hausfrau Swinging von 1997 deuten. Auf einem kleinen Monitor sieht man eine nackte Frau, die mit ihrem Kopf, der in einem Hausmodell steckt, immer wieder gegen die Wand haut. Damals steckte da noch echte Wut dahinter. Nicht nur im Kunstbetrieb rannten Frau karrieremäßig immer wieder gegen Wände. Jetzt, wo Bonvicini im Boys-Klub mitzuspielt, hat sie die Arbeit augenzwinkernd im Garderobenbereich platziert.

Ende gut, alles gut, Gender Gap geschlossen? Schaut man auf die Ausstellungsbilanz der Neuen Nationalgalerie, kommen Zweifel auf: Monica Bonvicini ist eine von nur acht Künstlerinnen, die dort in den letzten 20 Jahren eine Einzelausstellung hatten. Lässt man noch die Kurzauftritte von Performance-Künstlerinnen wie Simone Forti aus diesem Jahr weg, bleiben sogar nur fünf Frauen übrig, die zwischen 2002 und 2022 in der Nationalgalerie ausstellen durften. Dagegen stehen 56 Soloauftritte von männlichen Künstlern. Da ist also noch Luft nach oben, wie es so schön heißt. 

Monica Bonvicinis Auftritt kann gar nicht triumphierend und breitbeinig genug sein. I Do You! Im Pressetext wird der Titel etwas verklemmt-akademisch wegerklärt. Da ist von feministischer Aneignung und geschlechtsspezifischen Einschreibungen die Rede, die die Künstlerin offenlegen will:

„Der als Imperativ formulierte Ausstellungstitel „I do You“ (übersetzt „Ich mache dich“) ist bewusst mehrdeutig gehalten. Verstanden als ein „Ich will dich“ lässt Bonvicini das Museum als Ort der Kulturproduktion zur Stadt sprechen. Gleichzeitig liest sich das „I do You“ als provokative Ansage der Künstlerin an die Institution, das Gebäude innen und außen zu besetzen.“

Okay, so kann man das auch sagen. Aber wer sich ein bisschen in sexuellen Subkulturen auskennt, oder auch nur ab und zu Pornos schaut, weiß, was die drei Worte auf dem Spiegel vor der Neuen Nationalgalerie wirklich bedeuten: Ich mach‘s dir, ich fick‘ dich, ich reiß’ dich auf!

Monica Bonvicini: I do you, Neue Nationalgalerie Berlin, bis 30.4.2023