LOOP Fair Barcelona 2024

John Miller & Takuji Kogo: Past Glory of Eternity, 2024; VAM Edition, Berlin


Avantgarde-Filme im Bett – In Barcelona findet seit 20 Jahren ein spannendes Videokunst-Festival mit lässigem Screening-Konzept statt

Stell dir vor, du kommst in ein Hotel, alle Türen stehen offen, in jedem Zimmer läuft ein anderer Film. Du gehst einfach rein, wirfst dich aufs frisch gemachte Bett und bist im Kino. Wenn dir der Film nicht passt, gehst du ins nächste Zimmer und schaust, was da so läuft. Was nach einem verrücktem Traum klingt, ist grob gesagt das Konzept der Loop Fair, einem eigenwilligen Festival für Videokunst in Barcelona. Im November verwandelt sich das elegante Almanac-Hotel für ein paar Tage in ein Mekka für experimentierfreudiges Filmschaffen. Auf drei Etagen werden Werke renommierter und aufstrebender Videokünstler:innen präsentiert – und von den sie vertretenden Galerien verkauft. Die Loop Fair ist auch ein Markt für Filmkunst. Auf den Hotelfluren tummeln sich neben Schaulustigen potentielle Käufer: Kunstsammler:innen, Museumsdirektor:innen, Festival-Scouts. Neben den Screenings stehen Symposien zu Produktionsbedingungen und Ausstellungsmöglichkeiten zeitbasierter Medienkunst auf dem Programm. In Museen, Galerien und Kinos der Stadt gibt es weitere Loop-Premieren, Live-Performances und Talks. Abends dann trifft sich die Szene zum Networking auf der Dachterrasse oder in der Fiske-Bar am Hafen.

In diesem Jahr wurden rund 40 Filme im Hotelzimmer-Ambiente präsentiert, darunter Dokumentarisches und Fiktionales, obskure Rechercheprojekte und getanzte Flüchtlingsdramen, rührend altmodische, handgezeichnete Animationsfilme und feministische Found-Footage-Collagen. Auf den Monitoren flimmerten aber auch KI-generierte, soghaft-kaleidoskopische Videos über sumerische Opferrituale und apokalyptische, mittels CGI-Technik entstandene Zukunftsvisionen aus der israelisch-syrischen Grenzregion. Kurzum das Angebot war so schillernd, divers und nervig, wie es sich für ein zeitgenössisches Filmfestival gehört.

Die meisten Produktionen waren nicht länger als 30 Minuten, manche Filme sogar viel kürzer. Das deutsche Künstlerduo Stefan Panhans & Andrea Winkler braucht nur 9 Minuten 20, um in seinem Video Open Call die Selbstoptimierungsfloskeln der neoliberalen Konsumkultur ad absurdum zu führen. Da feuert uns eine Frau im Silberanzug mit hohlen Marketing-Sprüchen an wie ein überdrehter Lifestyle Coach: „Hello, Hello, you unlimited you-you! Selfieselfyou, show you, explain you, define you, bring you, corporate you, bring the bring bring you – becaaauuuuse we love love LOVE you, yes!“ Dabei ist sie in bonbonfarbenes Licht getaucht und kommt am Endes ihres atemlosen Selbstliebe-Monologs, der in einem einzigen langen Take gefilmt wurde, selbst ins Straucheln.

Olaf Stüber, Gründer des Video Art at Midnight-Programms in Berlin, brachte den neusten Beitrag seiner VAM-Edition mit nach Barcelona: Past Glory of Eternity von John Miller und Takuji Kogo. Darin spielen die Künstler mit der Idee von KI-generierten Partner:innen und lassen die virtuelle Freundin erst verführerisch und dann ziemlich nervig werden.

Zwei Stockwerke höher präsentierte Jan Ijäs sein House of the Wickedest Man in the World, ein suggestives Bio-Pic im Cinemascope-Format über den berühmt-berüchtigten britischen Dichter, Maler und Okkultisten Aleister Crowley. Der finnische Filmemacher hat sich auf Spurensuche in Sizilien begeben, wo Crowley in den 1920er Jahren in einer Villa über dem Meer seinen dunklen Geniekult auslebte. Die Kamera umkreist verfallene Häuser, karge Felsen und verblasste Wandmalereien, während Crowley aus Briefen und Tagebucheinträgen zu uns spricht. Als Fun Fact gibt uns Ijäs noch mit, dass sich auch der junge Kenneth Anger 1955 schon mal auf Entdeckungsreise nach Sizilien begab, weil auch er einen Film über Crowley wildes Leben drehen wollte.

Cordula Ditz wiederum klaute sich für ihren Found-Footage-Film Fainting Szenen aus Kinofilmen und Youtube-Videos, in denen Frauen in Ohnmacht fallen. Manchmal in dramatischer Hollywood-Manier, manchmal aus verwackelter Zuschauerperspektive beim Bodybuilding-Wettbewerb sieht man Frauen die Augen verdrehen und zu Boden gehen. Im schnell wechselnden Reigen schwächeln Stars wie Marilyn Monroe und Meryl Streep, aber auch unbekannte Fernsehmoderatorinnen, Turnerinnen, Schönheitsköniginnen. Die Ohnmachtsszenen laufen umkommentiert, untermalt nur von wabernder „Entspannungsmusik“. Das wirkt erstmal komisch. In der Fainting-Endlosschleife wird aber auch ein sexistisches Klischee entlarvt: Die Ohnmacht als ewiger Unsicherheitsfaktor des schwachen Geschlechts.

Stefan Panhans, Andrea Winkler: Open Call, 2024, Galerie Drawing Room, Hamburg

Zwischen den ausgewählten Filmen gibt es keine inhaltliche oder formale Klammer. Was die Filmschaffenden verbindet, ist eher ihr Selbstverständnis als Grenzgänger:innen zwischen Kunst- und Kinotradition. Viele zeigen ihre Filme in Galerien oder Museen und verkaufen sie in kleinen Auflagen an Sammler und Institutionen. Die Loop Fair wurde 2003 von zwei Videokunst-Freunden, Emilio Álvarez und Carlos Durán, bewusst auch als Verkaufsplattform gegründet, weil Filme auf dem Kunstmarkt bis dahin eher ein Schattendasein führten. Obwohl Bildende Künstler zeitbasierte Medien schon länger als Ausdrucksmittel nutzten, sah man solche Werke auf einschlägigen Kunstmessen wie Art Basel, Frieze oder Art Cologne nur selten. Die Entscheidung für ein Hotel als Spielstätte wiederum hatte ursprünglich ganz praktische Gründe. Schließlich braucht man für eine Videomesse viele abgeschlossene, lärmgeschützte Räume, die man in konventionellen Messehallen erst aufwändig hätte installieren müssen. Inzwischen ist das Hotelkonzept zum Markenzeichen geworden und in der Loop-Community Kult. 

Gabriel Abrantes: Les Extraordinaires Mesaventures de la Jeune Filles de Pierre, 2019, Galeria Francisco Fino, Lisboa
Gerard Ortín: Bliss Point, 2023, àngels barcelona

Unter den teilnehmenden Künstler:innen sind jedoch viele, die ihre Filme sonst auch im klassischen Kinosaal zeigen. Zum Beispiel Gabriel Abrantes. Seine Filme laufen auf der Berlinale, in Locarno und Cannes. Mit Diamantino gewann er dort 2018 den Großen Preises der Semaine de la Critique. In Barcelona war er nun mit dem fiktionalen Kurzfilm Les Extraordinaires Mésadventures de la Jeune Fille de Pierre vertreten, einer amüsant-hintersinnigen Geschichte über eine abenteuerlustige Statue aus dem Louvre, die sich der sozialistischen Protestbewegung in den Straßen von Paris anschließt. Auch Gerard Ortíns Dokumentarfilme über Agrologistics oder Future Foods sind auf dem Filmfestival in Hongkong und in der Tate Modern in London zu sehen. Im Almanac-Hotel präsentierte er seine neuste Food-Doku Bliss Point, einen faszinierenden, schaurig-schönen Blick hinter die Kulissen der globalen Lebensmitteldistribution. 

Anders als bei vielen Filmfestivals üblich kann man sich für die Loop nicht selbst bewerben. Die Teilnahme erfolgt auf Einladung. Die Filmauswahl trifft eine unabhängige Jury, zu der das Pariser Sammlerpaar Isabelle & Jean-Conrad Lemaître, der türkische Videokunst-Experte Haro Cumbusyan und die niederländische Sammlerin Renée Drake gehören. Der Eintritt ist frei. Man muss sich nur über die Loop-Website registrieren. Damit bekommt man auch Zugang zum umfangreichen Online-Archiv mit den Programmen vorangegangener Ausgaben  sowie Infos über alle beteiligten Künstler:innen. Und noch ein Argument für den Besuch des Videofestivals: in Barcelona liegt die durchschnittliche Tagestemperatur im November bei 20 Grad.