Mit 79 sammelt der umtriebige Regisseur nicht nur Ehrenpreise ein. Er arbeitet schon wieder an einem neuen 3D-Film über den Architekten Peter Zumthor
Gerade wurde bekanntgegeben, dass Wim Wenders in diesem Jahr von der Europäischen Filmakademie mit einem Sonderpreis für sein Lebenswerk geehrt wird. Am 17. September wird ihm in Paris zudem der Große Deutsch-Französische Medienpreis 2024 überreicht. Und auf dem Filmfestival in Cannes hatte im April die restaurierte 4K-Fassung seines Meisterwerks Paris, Texas Premiere, 40 Jahre nachdem er dort die Goldene Palme gewonnen hatte. Mit solchen Ehrungen könnte sich der 79-jährige Filmemacher entspannt zurücklehnen und seinen Ruhm genießen. Doch Wenders bleibt wach und umtriebig. Und überrascht mit immer neuen, spannenden Projekten.
Anfang September haben in Norwegen die Dreharbeiten zu seinem Dokumentarfilm über den Architekten Peter Zumthor begonnen, der für einfühlsame, naturnahe, skulpturale Bauten bekannt ist. Wenders und Zumthor kennen und schätzen sich seit vielen Jahren. In den kommenden zwei Jahren will der Filmemacher an mehr als einem Dutzend Orten auf der Welt drehen. Dazu gehören das Hexenmahnmal in Vardø, die Bruder-Klaus-Feldkapelle in der Eifel, das Kolumba Museum in Köln, das Secular Retreat in Chivelstone, das Haus Luzi in Jenaz und die Therme in Vals sowie kommende Architekturvorhaben wie der Erweiterungsbau der Fondation Beyeler in Riehen bei Basel und der Neubau des Los Angeles County Museum of Art (LACMA).
Gedreht wird in 3D, denn „keine andere Kunst (neben dem Tanz) bedarf so deutlich der dritten Dimension wie die Architektur“, so Wenders. Nach seinem Filmen über die Choreografin Pina Bausch (Pina, 2011) und den deutschen Über-Künstler Anselm Kiefer (Anselm, 2023) ist das Zumthor-Projekt bereits Wenders dritter Film in 3D-Technik. Zudem lieferte der unermütliche Filmemacher 2023 auch den zauberhaften Spielfilm Perfect Days ab, eine Meditation über saubere Toiletten und den Sinn des Lebens im Großstadtdschungel Tokios. Auch in diesem Film spielt Architektur eine wesentliche Rolle. Wenders siedelt seine Handlung rund um die originell gestalteten öffentlichen Toiletten Tokios an.
Ein schweigsamer Mann findet sein Glück im schlichten Arbeitsalltag als Toilettenreiniger. In den Pausen fotografiert er Bäume, Lichtreflexe, Schattenspiele mit seiner analogen Kamera. Die Filme lässt er entwickeln und sortiert die Abzüge nach gelungenen Bildern. Die meisten Aufnahmen wirft er weg. Nur wenige sortiert er in sein persönliches Bildarchiv ein. Bei diesen Szenen musste ich unwillkürlich an ein Gespräch denken, dass ich 2015 mit Wim Wenders führte. Damals sprachen wir viel über seine Wege der Bildfindung, die Bedeutung von Fotografie für sein Filmschaffen, den Einfluss von klassischer Landschaftsmalerei auf sein Werk und warum er als „ausgesprochener Gadget-Freak“ trotzdem auf analoge Fotografie setzt. In dem Interview gibt Wenders, der 1945 im zerbombten Düsseldorf geboren wurde, auch rare Einblicke in seine Jugend im Nachkriegs-Deutschland. Damals verbrachte er viel Zeit in den Kunstmuseen. Besonders die niederländischer Landschaftsmaler mit ihrem hohen Himmel und weitem Horizont hatten es ihm angetan. Schon damals fing er selbst an zu fotografieren. Als er älter wurde, wollte er nur weg aus Deutschland. In der Weite Amerikas, aber auch in den Gemälden Edward Hoppers, fand er schließlich seine Seelenlandschaften.
Hier ein paar erhellende Quotes aus dem Gespräch, das in der September-Ausgabe 2015 im Kunstmagazin ART erschien. Das komplette Interview (leider nur in deutsch) hänge ich als pdf an.
Viele meiner Filme fangen mit dem Wunsch an, an einem bestimmten Ort eine Geschichte zu erzählen. Die müssen notwendig zusammengehören. Aber der Ort ist das Allererste. Wenn ich zu einem Ort ein Gefühl habe und ihn verstehe, dann weiß ich auch, wie man ihn wiedergeben, wie man ihn kadrieren kann, entweder als Maler, als Fotograf oder mit der Filmkamera.
Ich fand immer schon die Gemälde am interessantesten, auf denen man Menschen nur von hinten oder klein in der Landschaft sah.
Die allerersten Eindrücke waren niederländische und französische Bilder, die bei meinen Eltern in der kriegsbeschädigten Wohnung hingen, zwei kleine Zimmerchen im Erdgeschoss, der Rest des Hauses war weg. Es waren Kunstdrucke von Bildern des Landschaftsmalers Camille Corot, große Bäume mit kleinen Menschen von hinten. Die hab ich stundenlang angestarrt, wenn ich nicht schlafen konnte. Später wurden es dann die großen Landschaften in den Museen. Ich bin ja in dieser kaputten Stadt aufgewachsen. Da war die Kunst der erste Blick in eine andere Welt.
Meine Geschichte als Fotograf beginnt erst 1983 mit der Anschaffung einer 6 x 7-Mittelformatkamera und mei- nen allerersten Farbfotos. Damals habe ich angefangen zu fotografieren in Vorbereitung für den Film Paris, Texas, um das Licht und die Farben des amerikanischen Westens besser zu verstehen.
Ich mache ziemlich viele iPhone-Fotos. Das sind Bildnotizen, aber das ist für mich keine Fotografie. Die ist für mich nur mit dem Negativ möglich.
Ich will aber das verdammte Foto nicht schon, während ich es noch mache, hinten auf dem Display sehen! Das ist für mich der große Frevel schlechthin: Wenn ich das Bild so früh, zu früh sehe, bin ich nur noch interessiert an dem Produkt und nicht mehr an dem Dialog mit dem, was ich vor mir habe.
Als Filmemacher war ich der Erste, der auf die digitale Sprache umgeschwenkt ist, alles ausprobiert hat bis hin zum 3-D-Film und demnächst viel- leicht auch noch Virtual Reality. Aber beim Fotografieren mag ich die unmittelbare Spur, die das Licht durch die Linse auf einem Negativ hinterlässt und die sich dann auf dem Print wiederfindet. Das ist für mich die Beweiskette, die mir hoch und heilig ist.