Leni Riefenstahl: Recherche mit Scheuklappen

Leni Riefenstahl im CBC-Interview „Leni Riefenstahl in her own words“ (1965) (© CBC)

Andres Veiels Dokumentarfilm Riefenstahl über die NS-Regisseurin bleibt neue Erkenntnisse schuldig

Der Film hat noch nicht richtig angefangen, da ist das Urteil schon gesprochen. Wir sehen eine Szene aus Leni Riefenstahls Regiedebüt Das Blaue Licht von 1932: Eine junge Frau, es ist die Regisseurin selbst, bewegt sich hexenartig durch die Berge auf der Suche nach einem mythischen Kristall. Dagegen geschnitten Bilder von Naziparaden, Hitler in Siegerpose, bejubelt von den Massen. Alte Filmstreifen hängen wie zur Montage bereit, dann kommen Szenen von den Olympischen Spielen 1936 in Berlin, die sich dank Riefenstahls genial geschnittener Olympia-Filme tief ins Bildgedächtnis eingebrannt haben. Schließlich die Sequenz aus einem TV-Interview mit Riefenstahl aus den 70er Jahren, wo sie gefragt wird, was sie fühlte, als sie Hitler zum ersten Mal sah. „Magnetismus!“, sagt sie da.

Nun ist Leni Riefenstahls Verstrickung ins NS-Regime kein Geheimnis. Es gibt unzählige Filme, Dokumentationen, Bücher über „Hitlers Regisseurin“, die ihre Rolle im Nationalsozialismus beleuchten und sie als skrupellose Bild-Manipulatorin zeigen, die den Nazis mit dramatischen Kameraeinstellungen und atemberaubenden Bildmontagen das passende heroisch-arische Propaganda-Kino lieferte. Im deutschen Filmgeschäft wurde die Regisseurin nach dem Krieg zur Persona non grata, in der Öffentlichkeit zu einer zeitlebens umstrittenen Figur. In späteren Jahren sah man sie häufiger in Talkshows, wo ihre mal naiven, mal kaltschnäuzigem Aussagen für Aufregung sorgten. Künstlerisch hatte sie da schon neue Wege eingeschlagen, fotografierte im Sudan das Leben der indigenen Nuba und begab sich mit über 80 noch auf Unterwasser-Fotosafari im Indischen Ozean.

Als sie 2003 im Alter von 101 Jahren in ihrer Villa am Starnberger See stirbt, hinterlässt sie ein riesiges Privatarchiv: Filmrollen, Tagebücher, Manuskripte unveröffentlichter Bücher, Fanpost, Tonbandaufnahmen, Fotoalben mit Hitler und Goebbels an ihrer Seite. Insgesamt 700 Kisten mit Material hat Andres Veiel, preisgekrönter Regisseur von Filmen wie Black Box Deutschland und Beuys, für seinen neuen Dokumentarfilm gesichtet, um ein differenzierteres Bild von Leni Riefenstahl zu zeichnen. Verblüffenderweise sind ihm dabei keine wirklich neuen Erkenntnisse gekommen. Vielleicht weil ihm ein unvoreingenommener Blick nicht möglich war.

Immer wieder umkreist der Dokumentarfilmer das Archivmaterial, zoomt auf Stapel handgeschriebener Texte, fein säuberlich beschriftete Fotoalben und Filmrollen. Auf echte Schocker ist er dabei offenbar nicht gestoßen. Im Voice-over erklärt Veiel das damit, dass Riefenstahl ihren Nachlass vermutlich ebenso gesäubert hat wie ihr öffentliches Image. Dokumente, die der Legende von der unpolitischen Künstlerin schaden könnten, habe sie wohl aussortiert. Das mag schon sein. Aber wozu die ganze Wühlerei im Nachlass, wenn man dem Gefundenen generell misstraut? 

Es scheint, als habe die ganze Recherchearbeit für diese Produktion mit Scheuklappen stattgefunden. Man spürt das Knirschen, festgefahrenes Denken, die Angst, einer Nazi-Ikone zu viel Wohlwollen entgegenzubringen. Gerade jetzt in diesen angespannten Zeiten, wo rechte Bewegungen wieder so viel Zuspruch bekommen. Das ist verständlich. Aber dann sollte man den Film vielleicht gar nicht machen. Produzentin Sandra Maischberger hatte da andere Pläne. Sie fädelte mit der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die Riefenstahls Nachlass geerbt hatte, einen exklusiven Dokumentarfilmdeal ein. Und heuerte Veiel an, der von der schieren Fülle des Materials sicher erstmal erschlagen war. 

Da ist zum Beispiel die Passage aus einem unveröffentlichtem Manuskript für Riefenstahls Memoiren. Darin beschreibt sie in krassen Worten die Gewaltexzesse ihres Vaters, der sie als kleines Mädchen, aber auch noch als 17-Jährige brutal verprügelte. In einer anderen Szene spricht sie von ihrer Vergewaltigung durch Propagandaminister Goebbels. Solche Details greift Veiel in dem Film auf, legt aber gleichzeitig nahe, dass sie nicht als Me-Too-Entschuldigung für Riefenstahls Führer-Hörigkeit gelten dürfen. Dabei ist ihre Karriere von der süßen Tanzmaus zur toughen Regisseurin, die im Olympiastadion 50 Kameramänner dirigierte, beispiellos. Und mit Sicherheit verbunden gewesen mit krassen sexistischen Erfahrungen.

Umso unangenehmer wirkt es, dass Veiel nicht bei den Fakten bleibt, sondern die Glaubwürdigkeit seiner Protagonistin ständig in Zweifel zieht. Und statt seriöser Analyse in die unterste Klischeeschublade greift. Um das Rätsel der Riefenstahl zu lösen, zeigt er immer wieder Porträtaufnahmen in Überblendung: erst naives Mädel, laszive Schauspielerin, sportliche Bergsteigerin, Glamour-Frau mit Bubikopf, dann herrische Regisseurin, Nazibraut und zum Schluss alte Hexe mit falschen Locken und verzerrtem, rot geschminkten Mund.

Die O-Töne holt sich der Dokumentarfilmer hauptsächlich aus bekannten Interviews und früheren Dokus, etwa Ray Müllers dreistündigem, sehenswertem Riefenstahl-Porträt Die Macht der Bilder von 1993. Müller begleitete die damals fast 90-Jährige über Monate. Veiel pickt sich aus diesem Material nur das heraus, was zum Bild der glühenden Nazi-Verehrerin und NS-Verharmloserin passt. So etwa einen Streit, in dem Riefenstahl vor laufender Kamera damit droht, die Dreharbeiten abzubrechen, als es um ihre Beziehung zu Hitler geht. Dass sie Müller dennoch weiter filmen ließ und am Ende diese und viele andere unschmeichelhafte Szenen im fertigen Film zu sehen sind, verschweigt Veiels Doku. 

Man muss kein Verständnis für Leni Riefenstahls Mitläufertum und Mittäterschaft in der NS-Zeit haben. Auch nicht dafür, dass sie sich nie wirklich von den ewig Gestrigen distanzierte und immer stur darauf beharrte, nur ihrer Kunst verpflichtet gewesen zu sein. Aber man darf sich dennoch fragen, ob die kritische Fixierung gerade auf ihre Person im Kontext des NS-Kinos auch etwas damit zu tun hat, dass sie eine Frau ist – und eine unbeugsame noch dazu. Nur mal zum Vergleich: Riefenstahls Schauspielkollege Heinz Rühmann, wie sie 1902 geboren und später auch am Starnberger See zu Hause, machte unter den Nazis Karriere, war ein Freund Goebbels’, ließ sich 1938 sogar von seiner jüdischen Frau scheiden, damit er weiter in NS-Filmen spielen konnte. In Nachkriegsdeutschland ging die Schauspielkarriere für ihn nahtlos weiter. Statt Quax, der Bruchpilot (1941) spielte er jetzt den Hauptmann von Köpenick (1956). Und bekam 1966 das große Bundesverdienstkreuz verliehen. Inquisitorische Dokus über Rühmann bis heute: Fehlanzeige.


Riefenstahl. Dokumentarfilm von Andres Veiel, 116 Minuten, Kinostart: 31. Oktober