Berlinale-Fieber: Highlights des Berliner Filmfestivals

Tilda Swinton, Preisträgerin des Goldenen Ehrenbären 2025


Zum 75. Jubiläum bescherte uns das Berliner Filmfestival Glitzer-Momente, Glatteis und klirrende Kälte. Stars wie Tilda Swinton, Robert Pattinson, Jessica Chastain und Ethan Hawke bibberten diesmal auf dem roten Teppich. Pünktlich zum Eröffnungsabend versank die Stadt im Schneegestöber, die Temperaturen sanken nachts unter Minus 10 Grad, was den Glamour-Faktor maximal herunterschraubte. Bei der Ankunft im Berlinale-Palast sahen eigentlich fast alle in ihren dicken Daunenjacken und Wollmützen aus wie Polarforscher – außer Timothée Chalamet, der zur Premiere seines Bio-Pics A Complete Unknown über Bob Dylan im ärmellosen Feinripp-Shirt posierte.

Heute wurden die Bären-Trophäen für die besten Filme Regie- und Schaupielleistungen vergeben Hier kommt meine persönliche Hitliste:


Doppelter Robert Pattinson in Mickey 17

Robert Pattinson in Mickey 17, © 2025 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved


Mickey 17 passt perfekt zum klirrend kalten Berlin. Der neue Film des koreanischen Regiemeisters Bong Joon Ho spielt auf dem eisigen Planeten Mars. Dort will eine schräge Truppe von Weltraumsiedlern eine Kolonie aufbauen. Die Erde ist abgewirtschaftet, die Menschen stehen Schlange für ein Ticket in den Outer Space. Darunter ist auch Mickey Barnes (Robert Pattinson), der sich für eine besondere Mission bewirbt, ohne vorher das Kleingedruckte zu lesen. So wird er zum „Expandable“, einer menschlichen Laborratte. Er muss gefährliche Reparaturjobs übernehmen, zu Testzwecken giftige Luft atmen und andere Drecksjobs erledigen. Stirbt er dabei, wird er mittels 3-D-Drucker als baugleiche Mickey-Version neu ausgedruckt. Wie Pattinson da immer wieder neugeboren vom Fließband rollt, ist schon crazy genug. Doch dann läuft etwas schief: Mickey 18 ist schon fertig gedruckt, da taucht auf einmal der totgeglaubte Mickey 17 wieder auf. Außerdem werden die Siedler von intelligenten Kellerasseln bedroht, manche so groß wie VW-Käfer. Und der Chef der Mars-Mission, ein narzisstisch-autoritärer Politiker á la Trump mit fehlender Impulskontrolle, genial gespielt von Mark Ruffalo, will unbedingt Krieg. Der Film ist eine grandiose Science-Fiction-Satire mit pointierten Dialogen und einem hinreißenden Robert Pattinson, der mit lakonischen Witz seinen eigenen Doppelgänger ausspielt

Schmetterlinge mit Gedächtnislücken

La memoria de las mariposas (The Memory of Butterflies), © Miti Films / MAA Cambridge / Community of Puerto Arica


In Tatiana Fuentes Sadowskis Kinodebüt La memoria de las mariposas geht es nicht um geflügelte Insekten, sondern um flüchtige Erinnerungen. Die peruanische Filmemacherin hat sich in ehemaligen Kautschukplantagen im Amazonasgebiet auf Spurensuche begeben. In Archiven stößt sie auf Fotografien von zwei indigenen Jungen, Omarino und Aredomi, die dort als Zwangsarbeiter schuften mussten und 1911 in London als „Wilde“ zur Schau gestellt wurden. Der Dokumentarfilm tastet sich zögernd an die Geschehnisse heran. Die Bilder ruckeln, sind zerkratzt, brechen jäh ab. Die Filmemacherin mischt Found Footage mit eigenem Aufnahmen und verflechtet alles in ein vages, traumverlorenes Gewebe. Auch ihre eigene Biografie bringt die Filmemacherin mit ins Spiel. Einer ihrer Vorfahren war Kautschuk-Händler. Deshalb fragt sie sich, in wieweit auch sie mitverantwortlich ist am Unrecht gegenüber den Ureinwohnern. Solche Gedanken mäandern durch die Erzählung, blitzen auf und entschwinden wieder – wie Schmetterlinge.

Fairytale Body Horror: The Ugly Stepsister

Ane Dahl Torp, Lea Myren in Den stygge stesøsteren, Den stygge stesøsteren, © Lukasz Bak


Wie gut sich Grimms Märchen fürs Horrorfilm-Genre eignen, zeigt die norwegische Filmemacherin Emilie Blichfeldt. Sie hat sich die Aschenputtel-Story vorgenommen, erzählt sie aber nicht als zuckersüße Cindarella-Geschichte, sondern als Gruseldrama aus der Sicht der hässlichen Stiefschwester, die zu krassen Mitteln der Selbstoptimierung greift, um die Gunst des Prinzen zu erlangen. Im opulenten Märchenschloss-Setting rascheln nicht nur die Seidenkleider, da werden Nasen mit dem Meißel gerichtet, Zehen mit der Fleischeraxt amputiert, alles in bester Spatter-Tradition mit analogen Tricks und einer augenzwinkernden Verbeugung an David Cronenberg. Ja, es ist blutig, aber auch ein großer Spaß für Fans des feministisch angehauchten Body-Horrors. The Substance als Märchenfilm.

Best Performance: Ethan Hawke in Blue Moon

Margaret Qualley, Ethan Hawke in Blue Moon, © Sabrina Lantos / Sony Pictures Classics


Regisseur Richard Linklater hat seinem Lieblingsschauspieler Ethan Hawke wieder einmal eine Traumrolle geschrieben. In Blue Moon spielt er den abgehalfterten New Yorker Musical- und Songtexter Laurenz Hart – eine historische Figur aus dem New Yorker Show Business. Hart war ein gefeierter Bühnenautor, dessen freimütiger, sexuell anspielungsreicher Stil im spießiger werdenden Amerika der 40er Jahre nicht mehr gefragt ist. Hawke spielt diesen wortgewandten Künstler als flamboyanten, geistreichen Dauertalker mit Alkoholproblem. Schauplatz ist das legendäre Theaterlokal Sardi’s in New York, wo Hart die Premierenfeier seines langjährigen Komponistenpartners Richard Rogers (Andrew Scott) aufmischt, Margaret Qualley anhimmelt und ein leidenschaftliches, wenn auch vergebliches Plädoyer für Vielfalt, Schönheit und Verwegenheit in der Kunst abgibt.

 

Wichtige Langzeit-Doku: Das Deutsche Volk

Marktplatz in Hanau, Still aus Das Deutsche Volk, © Marcin Wierzchowski


Marcin Wierzchowkis Dokumentarfilm erzählt die Geschichte der rassistischen Morde 2020 in Hanau. Damals erschoss ein rechtsextremer Täter gezielt neu Menschen, die er für Ausländer hielt. Vier Jahre lang hat Wierzchowki mit seiner Kamera die Folgen des Attentats dokumentiert. Er war bei Beerdigungen dabei, Tatortbesichtigungen, Demonstrationen, Gedenkfeiern, Untersuchungsausschüssen. Hat Ohnmacht, Verzweiflung, Tränen und Wut gefilmt, halbherzige Anteilnahme und echte Betroffenheit. Und auch den tiefen Riss, der sich seit dem Attentat durch die Gesellschaft zieht. Mit seiner sensiblen, genau beobachtenden Langzeit-Doku verleiht er den Angehörigen der Opfer eine Stimme. Zermürbte, vom Schmerz gezeichnete Eltern, die an der kalten Wand der Bürokratie abprallen. Fleißige Bürger, die bis zu dem Attentat glaubten, gut integriert zu sein, um dann festzustellen, dass sie zum „deutschen Volk“ doch nicht dazugehören. Wie wichtig, wie notwendig dieser Film gerade jetzt ist, muss man gar nicht mehr extra betonen. Ein Blick in die Nachrichten reicht, wo es gefühlt nur noch um gefährliche Ausländer, illegale Zuwanderung, schnellere Abschiebung geht. Und nicht genug darüber berichtet wird, wohin diese entmenschlichende Hassideologie führt. Das Deutsche Volk erinnert sehr eindringlich daran.

Bonus Track: Hildegard Knef will alles!

© Privatarchiv Hildegard Knef


Ihr Bronzestern auf Berlins „Boulevard der Stars“ ist ziemlich zerkratzt, doch Hildegard Knefs Geist irrlichtert immer noch durch die Stadt. Mit Ich will alles versucht nun die Schweizer Regisseurin Luzia Schmid eine erneute Annäherung an die eigenwillige Berliner Schauspielerin. Dazu lässt sie die Knef selbst zu Wort kommen. Ihr Dokumentarfilm bedient sich hauptsächlich aus Archivmaterial. Erst Trümmer-Berlin, 1946, wo die 19-jährige in Wolfgang Staudtes Die Mörder sind unter uns die Hauptrolle spielt und damit über Nacht zum ersten Filmstar der Nachkriegsgeschichte wird. Dann ruft Hollywood und später die Kirche zum Boykott ihres Films Die Sünderin, nicht nur, weil die Knef darin kurz nackt zu sehen ist. Sie geht nach New York, erobert in einem Cole-Porter-Musical den Broadway, erfindet sich als Chansonsängerin neu und toppt als Schriftstellerin die Spiegel-Bestseller-Listen. Am faszinierendsten ist der Film immer dann, wenn wir der Knef beim Denken und Reden zuschauen können. Wie unaufgeregt und klug sie spricht, wie lässig sie sich inszeniert, wie emanzipiert sie wirkt. Und wie zeitgenössisch ihre Songtexte heute noch klingen: „Mit 16 sagte ich still, ich will / Ich will mich nicht fügen / Kann mich nicht begnügen / Will alles oder nichts / Für mich soll’s rote Rosen regnen…“  

And the winner is…

Drømmer (Dreams (Sex Love)) von Dag Johan Haugerud, hier mit seinem Filmteam bei der Premiere, gewinnt den Goldenen Bären für den besten Film

Die Liste aller Preisträger gibt’s hier: https://www.berlinale.de/media/de/download/preise-jurys/berlinale-preise-2025.pdf